Wärmewende mit Geothermie?

Energieversorgung

Heizen

26.04.2023

6 Minuten

Eine Forschungsbohrung erkundet derzeit, ob Geothermie künftig einen Beitrag für die Wärmeversorgung in Frankfurt leisten kann. Wir erklären, was Geothermie eigentlich ist und welche Rolle sie im Wärmemix der Zukunft spielen kann.

Geothermische Edelstahl-Kraftwerksrohrstruktur

Autor: Mainova Redaktion

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Eine Forschungsbohrung erkundet derzeit, ob Geothermie künftig einen Beitrag für die Wärmeversorgung in Frankfurt leisten kann. Hier erfahrt ihr, was Geothermie eigentlich ist, welche Rolle sie im Wärmemix der Zukunft spielen kann und ob ihr auch euer Haus mit Erdwärme heizen könnt.

Geothermie und die Klimaschutzziele der Stadt Frankfurt

Es ist beeindruckend, was sich derzeit auf dem Gelände des ehemaligen Rebstockparks in Frankfurt am Main abspielt. Wo jahrzehntelang die Frankfurterinnen und Frankfurter an der Oberfläche Abkühlung genossen und im Rebstockbad ihre Bahnen im Schwimmbecken gezogen haben, läuft nun die Suche nach Wärme tief unter der Erde. Dafür ist großes Gerät aktiv. Eine von weitem sichtbare orangefarbene Bohranlage gräbt sich Stück für Stück ins Erdreich. Das Ziel: Herausfinden, ob in einer Tiefe von 800 m Temperaturen im Bereich von 40 °C vorzufinden sind. Die Frage: Welche Rolle kann Geothermie für die Klimaschutzziele der Stadt Frankfurt, die bis 2035 klimaneutral und unabhängig von fossiler Energie sein möchte, spielen? Um das herauszufinden, führt die Stadt Frankfurt, finanziert durch das Hessische Wirtschaftsministerium, gemeinsam mit dem Hessischen Landesamt für Naturschutz und Geologie (HLNUG) und weiteren Projektpartnern in einem Projektteam – auch Mainova ist als Unterstützer dabei – eine Forschungsbohrung durch.

  • „Frankfurt ist aus geologischer Sicht ein Hotspot der oberflächennahen und mitteltiefen Geothermie. Die Situation im Untergrund hier ist einmalig: So hohe Temperaturen in geringer Tiefe über eine so große Fläche finden sich unserer Kenntnis nach nirgends sonst in Hessen.“  Prof. Thomas Schmid, Präsident des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG)
  • „Wir wollen unser Land in weniger als 25 Jahren klimaneutral machen und unseren Energiebedarf vollständig aus erneuerbaren Quellen decken. Mit ihrer ganzjährigen Verfügbarkeit ist die Geothermie eine hervorragende Ergänzung zu Sonne und Wind; besonders interessant ist sie zur Beheizung von Gebäuden.“  Jens Deutschendorf, Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen (HMWEVW)
  • „Wenn wir mit der Forschungsbohrung beweisen können, dass da ein lohnenswerter Wärmeschatz unter Frankfurt schlummert, dann werden wir ihn auch nutzen.“  Rosemarie Heilig, Klimadezernentin der Stadt Frankfurt
  • „Die Forschungsbohrung auf dem Gelände des neuen Rebstockbades bietet auch die Chance, einen maßgeblichen Beitrag zur Wärmeversorgung für unsere Badegäste beizutragen.“  Mike Josef, Dezernent der Stadt Frankfurt für Planen, Wohnen und Sport
  • „Die Geothermie ist in der Lage Wärme, Kälte und Strom unabhängig von Tages- und Jahreszeit und politischen Krisensituationen zuverlässig, preisstabil und klimafreundlich bereitzustellen. Im Bereich großer Wohngebäude, Industrie oder innerstädtischen Projekten kommt die oberflächennahe Geothermie, aufgrund des Platzbedarfs an ihre Leistungsgrenzen. Hier setzt die mitteltiefe Geothermie mit Bohrtiefen bis rund 1000 m an.“  Julia Woth, LandesEnergieAgentur Hessen GmbH
  • „Wir möchten damit dazu beitragen, dass die bisher unzureichende Datenlage über den tieferen Untergrund im Bereich Frankfurt und das Rotliegend durch Erkundungsbohrungen zum Wohl der Allgemeinheit verbessert wird.“  Dr. Kristian Bär, Vulcan Energie Ressourcen GmbH, wissenschaftliche Begleitung

Was ist eigentlich Geothermie?

Unsere Erde ist heiß. In ihrem Inneren herrschen Temperaturen von über 1.000 °C. Diese thermische Energie, die in der Erde gespeichert ist, nennt man Geothermie. Je nachdem wie tief man bohrt, um diese Quelle anzuzapfen, unterscheidet man oberflächennahe Geothermie (bis 400 m) und Tiefengeothermie (mehr als 400 m), wobei der Tiefenbereich zwischen 400 und 1.000 m als mitteltiefe Geothermie bezeichnet wird. Dabei gilt als Faustformel, dass pro 100 m Tiefe die Temperatur um 3 °C zunimmt. 
Anlass für die Bohrung in Frankfurt ist, dass das HLNUG hier eine „geothermische Anomalie“ ermittelt hat. So steigt im Frankfurter Untergrund die Temperatur nach Auswertungen von Dr. Sven Rumohr vom HLNUG teilweise um 9 °C pro 100 m Tiefe, sodass im zentralen Bereich der Anomalie in 400 m Tiefe Temperaturen von 40 °C vermutet werden. Grund hierfür ist Thermalwasser in den Gesteinen des Rotliegenden, das vermutlich aus einem Zustrom im Oberrheingraben gespeist wird. Der Begriff „Rotliegend“ stammt aus der Sprache der Bergmänner und bezeichnet eine Gesteinsschicht, die vor rund 299 Mio. Jahren begann und vor etwa 257 Mio. Jahren endete. Sie besteht aus mächtigen, oft rot gefärbten Sandstein-, Tonsteinlagen sowie vulkanischen Gesteinen. Die rote Färbung ist ein Zeichen für heißes Klima. Die Bohrung wird also in eine Zeit vorstoßen, als Frankfurt noch Wüste war, und möchte zum Beispiel erkunden, wie wasserdurchlässig das Gestein ist.

Enge Abstimmung mit der Bergbaubehörde

Im Februar 2023 sprechen wir mit Dr. Johann-Gerhard Fritsche vom HLNUG über den Stand der Dinge. Seit rund zwei Monaten läuft die Bohrung. In dieser Zeit hat sich der Bohrer knapp 170 m tief in die Erde unter Frankfurt vorgearbeitet. Wenn der Bohrkopf über das, was ihm bislang begegnet ist, sprechen könnte, würde er vor allem von häufigen Wechseln zwischen Tonen und Kalksteinen berichten. Das hatte das Forschungsteam in dieser Form zwar erwartet, aber nicht, wie zeitaufwendig diese wechselhafte Struktur für den Bohrer sein würde. Für Ton werden andere Meißel benötigt als für Kalk. Das heißt in der Praxis: Das Bohrgestänge muss hochgefahren und der Meißel getauscht werden, ehe es weiter hinab in die Tiefe gehen kann. Das kostet Zeit. Sämtliche Schritte werden eng mit der Bergbaubehörde abgestimmt. Ja, richtig gelesen: Hessen hat eine Bergbaubehörde, die nach dem Bundesberggesetz für Bohrungen in dieser Tiefe die Aufsicht führt.

Forschungsbohrung Geothermie: die Bohrungsstelle in Frankfurt

Die tiefste Bohrung in der Geschichte Frankfurts

Der Bohrer könnte noch von anderen Sehenswürdigkeiten sprechen, zum Beispiel Schnecken und Fossilien, aber auch eine Schicht Braunkohle in etwa 54-57 m Tiefe. Erdgeschichtlich befindet er sich noch im Miozän, also in einer Zeit vor etwa 20 Mio. Jahren. Auch Biogas kam bereits vor. „Biogas ist in diesen Tiefen normal. Das ist in etwa wie in Mooren“, erläutert Diplom-Geologe Fritsche. In weiteren 130 m Tiefe wird der Bohrer Geschichte schreiben. Dann bricht er den Rekord für die tiefste Bohrung auf Frankfurts Stadtgebiet. Die bisherige Bestmarke stammt aus dem Jahr 1893. Auf dem Gelände der Brauerei von Fritz Reutlinger, die später von Binding übernommen wurde, wurde ein 283 m tiefes Loch gebohrt, um Wasser für die Bierproduktion zu gewinnen. Da das Wasser jedoch mit über 30 °C an der Oberfläche ankam, war es zur Bierproduktion nicht zu gebrauchen. Die Bohrung wurde wieder verschlossen. Wie es mit der aktuellen Bohrung weitergeht, könnt ihr in der regelmäßig aktualisierten Chronologie  auf der HLNUG-Webseite verfolgen.

Wärmeversorgung von Frankfurt: Der Mix macht‘s

Die Erkenntnisse aus dem Projekt werden zum einen dafür verwendet, um die Wärmeversorgung für die Neubauprojekte Rebstockbad sowie das neue Wohnquartier Römerhöfe zu planen. Auch Mainova wird mit den Ergebnissen arbeiten. Technikvorstand Martin Giehl sagt: „Wir treiben die Dekarbonisierung der Frankfurter Wärmeversorgung mit einer Vielzahl verschiedener Vorhaben voran. Geothermie könnte zusätzlich zur Umstellung des HKW West auf klimaneutrale Gase, der verstärkten Nutzung von Müll oder der Integration von Abwärme aus Rechenzentren oder Industrieprozessen ein weiterer Baustein einer klimaneutralen Wärmeversorgung sein. So kann sich eine weitere Zukunftsoption für unseren künftigen Erzeugungs-Mix ergeben.“

Oberflächennahe Geothermie in Frankfurt

Während am alten Rebstockbad aktuell Pionierarbeit in Sachen mitteltiefer Geothermie in Frankfurt geleistet wird, gibt es in Frankfurt bereits einige Anlagen, die oberflächennah Erdwärme nutzen. Derzeit sind etwa 250 Erdwärmesonden-Anlagen mit einer Heizleistung von in Summe rund 10.000 kW aktiv. Die größten geothermischen Anlagen stehen auf dem Areal des Henninger Turms und des Quartiers am Henniger Turm in Sachsenhausen sowie auf dem aktuell im Bau befindlichen Hochhausensemble FOUR in der Innenstadt. Auch der von Mainova als Contracting-Partner betreute Profi-Campus der Frankfurter Eintracht nutzt Erdwärme. Sie wird auch bei Frankfurts erstem Klimaschutzquartier im Hilgenfeld zum Einsatz kommen. Dort sind 161 Sonden mit 120 m Tiefe geplant, die umweltschonende Wärme für bis zu 2.500 Menschen in dem neuen Wohnquartier liefern.

Und fürs Eigenheim?

Stellt ihr euch jetzt Fragen wie:

  • Darf ich an meinem Standort eine Erdwärmesonden-Anlage errichten? 
  • Wie kann ich Informationen über meinen Standort erhalten? 
  • Wie tief darf an meinem Standort gebohrt werden? 
  • Wie viel Platz benötige ich? 
  • Wie finde ich eine Bohrfirma?

Dann beginnt eure Recherche am besten bei der FAQ-Liste des HLNUG. Sie erläutert verständlich und bietet viele hilfreiche Links zu geologischen Informationssystemen.

Mehr Themen rund um eure Energieversorgung und -nutzung und unser Engagement für mehr Nachhaltigkeit findet ihr immer hier im Blog sowie auf Facebook, YouTube und Instagram. Kennt ihr schon unseren Podcast? Auch dort gibt’s frische Impulse zu aktuellen Energiethemen, die Frankfurt bewegen.

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