Startschuss für regionales Wasserstoff-Verteilnetz in Frankfurt Rhein/Main

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20.03.2024 | Frankfurt am Main

Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft. Gleichzeitig steht der Aufbau einer lokalen Wasserstoffwirtschaft noch am Anfang. Die hessische Energiewirtschaft nimmt hier eine entscheidende Rolle ein – von der Wasserstoffproduktion über den Transport und die Verteilung bis hin zur Nutzung in den verschiedenen Anwendungen und Sektoren: der Industrie, dem Verkehr, der Wärme und Stromerzeugung. 

Die Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main soll ein eigenes regionales Verteilnetz für Wasserstoff erhalten: „Rh2ein-Main Connect“ wird voraussichtlich ab dem Jahr 2028 in ersten Teilabschnitten in Betrieb genommen. Die Regionalversorger ENTEGA AG, Mainova AG, ESWE Versorgungs AG und Kraftwerke Mainz-Wiesbaden AG (KMW) sowie der Fernleitungsnetzbetreiber Open Grid Europe GmbH (OGE) und die Verteilnetzbetreiber e-netz Südhessen AG und NRM Netzdienste Rhein-Main GmbH haben kürzlich einen entsprechenden Kooperationsvertrag geschlossen. Das neue Wasserstoff-Regionalnetz „Rh2ein-Main Connect“ soll die Metropolregion durch gleich mehrere Anbindungen an das H2 Kernnetz nach aktuellem Planungsstand beginnend ab 2028 bis 2032 mit klimaneutralem Wasserstoff versorgen.

„Mit Blick auf die angestrebte Klimaneutralität in Hessen bis spätestens 2045 müssen wir bereits heute die Entscheidung treffen, wie wir Industrie und Mittelstand zukünftig nachhaltig mit klimaneutraler Wärme und Strom versorgen wollen. In Abstimmung mit den Plänen zur Errichtung des Wasserstoffkernnetzes gehen wir jetzt diesen Schritt, um gemeinsam mit den beteiligten Partnern ein eigenes klimaneutrales Verteilnetz in Frankfurt/Rhein-Main aufzu¬bauen“, erläutert Dr. Marie-Luise Wolff, Vorstandsvorsitzende der ENTEGA AG, anlässlich der Unterzeichnung des Kooperationsvertrages in Wiesbaden.
Dr. Jörg Bergmann, Sprecher der Geschäftsführung der OGE, ergänzt: „OGE hat mit Partnern das nationale Infrastrukturprojekt „H2ercules“ initiiert, welches Verbraucher im Süden und Westen Deutschlands mit grünem Wasserstoff aus heimischer Produktion und über diverse Importrouten versorgen wird. H2ercules ist ein Teil des Wasserstoff-Kernnetzes, das wichtige Verbrauchszentren, wie insbesondere die Rhein-Main-Region, erschließen wird. Für die regionale Durchdringung benötigen wir die Verteilnetzbetreiber, um gemeinsam so die Dekarbonisierung mittels Wasserstoffs für eine breite Gruppe von Abnehmern zu ermöglichen.“

Peter Arnold, Vorstandsvorsitzender der Mainova AG, fügt hinzu: „Für wirksamen Klimaschutz ist der Einsatz von klimafreundlichem Wasserstoff im Wärmemarkt entscheidend. Schließlich findet hier mehr als die Hälfte des Primärenergieverbrauchs statt. Zudem weist Wasserstoff weitere Vorzüge auf: Als Gas ist er natürlicher Partner der Erneuerbaren Energien, großvolumig speicherbar und gut transportierbar. Deswegen ist jetzt ein entschlossener Start in die Wasserstofftechnologie und der entsprechende Ausbau der Infrastruktur erforderlich.“

Dr. Oliver Malerius, Vorstandsvorsitzender der KMW AG, erklärt dazu: „Um den steigenden Wasserstoffbedarf sowohl in Hessen als auch in Rheinland-Pfalz bis zum Erreichen der Klimaneutralität im Jahr 2045 zu decken, sollte das neue Wasserstoff-Regionalnetz vorausschauend dimensioniert werden. In enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Partnern werden Verbrauchsstandorte mit hohem Wasserstoffbedarf z.B. zur Erzeugung von CO2-neutralem Strom und (Prozess-) Wärme identifiziert und perspektivisch leitungstechnisch erschlossen. Diese erschlossenen Standorte machen so auch die Verwendung von Wasserstoff in Industrie, Gewerbe und Privathaushalten zur Wärmeerzeugung effizient möglich.“

Jörg Höhler, Technischer Vorstand der ESWE Versorgungs AG, erläutert abschließend: „Das, was wir heute vereinbart haben, ist ein echtes Wasserstoffnetz für die Region mit einer Gesamtlänge von ca. 300 km durch das Rhein-Main-Gebiet. Für das Initialnetz müssen die ersten Teilstücke bis 2032 neu errichtet werden, anschließend werden wir verstärkt bestehende Erdgasleitungen umwidmen. Dabei sind wir uns mit allen beteiligten Partnern einig, dass Wasserstoff sowohl aus Fernleitungen als auch dezentral eingespeist werden soll. Wenn möglich, werden wir auch Industriepartnern im Rhein-Main-Gebiet die Möglichkeit eröffnen, mittels Elektrolyse erzeugten Wasserstoff aus ihren Anlagen in das neue Regionalnetz einzuspeisen. Darüber hinaus können die erwarteten Investitionskosten für eine regionale Wasserstoff-Infrastruktur nicht durch die Verteilnetzbetreiber allein getragen werden. Es sind Förder- und Finanzierungsprogramme aus dem öffentlichen und privaten Sektor notwendig. Hier kann das Land Hessen einen entscheidenden Beitrag leisten, das erste öffentliche, klimaneutrale Wasserstoff-Verteilnetz in Hessen gemeinsam mit den kommunalen Regionalversorgern auf den Weg zu bringen.“

Die ersten Teilabschnitte des Wasserstoff-Regionalnetzes „Rh2ein-Main Connect“ sollen bis 2028 errichtet werden und ab Inbetriebnahme die Versorgung von frühen Ankerkunden der Region mit Wasserstoff gewährleisten. Die neuen Leitungen sollen dabei möglichst in den Schutzstreifen des bestehenden Erdgasnetzes integriert werden. Ab 2032 soll dann die lokale Weiterverteilung des Wasserstoffs beginnen. Ab hier soll weniger der Neubau im Vordergrund stehen, sondern eher eine Umwidmung der bestehenden Infrastruktur vom Erdgas- auf den vollständigen Wasserstoffeinsatz, um eine stufenweise Umstellung in der Fläche zu erreichen.

Für die Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main wird laut einer Bedarfsabschätzung im Jahr 2030 ein jährlicher Wasserstoffbedarf von anfangs ca. 5 Terrawattstunden (TWh) prognostiziert, der bis zum Jahr 2045 auf ca. 24 TWh jährlich ansteigt. Die beteiligten Partner rechnen mit notwendigen Investitionen für die Planung und den Bau des Regionalnetzes „Rh2ein-Main Connect“ bis zum Jahr 2040 von rund 610 Millionen Euro.

Wasserstoffprojekte in der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main

Bereits im Jahr 2014 hatten die ESWE Versorgungs AG und die Mainova AG erste Schritte in Richtung Wasserstoff unternommen und zusammen mit weiteren Projektpartnern der kommunalen Thüga-Gruppe eine Strom-zu-Gas-Demonstrationsanlage in Betrieb genommen. Die Anlage wandelte Strom in Wasserstoff um und speiste diesen dann in das Gasverteilnetz ein. „Rückblickend auf das Projekt sind wir davon überzeugt, dass diese Technologie langfristig das größte Potential hat, überschüssige Mengen an regenerativen Energien zu speichern. Es wurde erstmals damit begonnen, die vorhandenen Gasnetze im Sinne der Energiewende nicht mehr nur klassisch als Transportmittel zu nutzen, sondern, verbunden mit dem Stromnetz, dienen sie auch als Speicher und Transportmedium für in Wasserstoff umgewandelte erneuerbare Energien und sorgen dafür, dass man diese vielfältig nutzen kann“, ergänzt Jörg Höhler.  

Auch die ENTEGA AG in Darmstadt plant mit dem Forschungsprojekt „DELTA“, selbst grünen Wasserstoff am Standort des Müllheizkraftwerks zu erzeugen. Hier geht es primär darum, Wasserstoff für die Mobilität bereit zu stellen, insbesondere für den ÖPNV. „In einem Elektrolyseur wird Wasser unter Strom gesetzt, so dass sich Wasserstoff und Sauerstoff voneinander trennen. Die so mit der geplanten Anlage erzeugte Wasserstoffmenge von jährlich ca. 310 Tonnen (t) reicht für den Betrieb von ca. 40 Bussen aus und spart damit verbrauchsbedingt rund 4.000 t CO2 pro Jahr ein. Perspektivisch werden wir auch die Nutzung der beim Elektrolyseprozess anfallenden Abwärme für Heizzwecke untersuchen. Diese vielseitige Wasserstoff-Technologie, die in Deutschland dringend weiter erprobt werden muss, wird für die Umsetzung unserer Klimaschutzziele immer wichtiger. In diese Lücke stößt ENTEGA bereits heute mit dem Reallabor DELTA“, erklärt Dr. Marie-Luise Wolff. 

Matthias Bürk, Standortleiter der Merck-Gruppe an deren Konzernzentrale in Darmstadt, fügt hinzu: „Als Wissenschafts- und Technologieunternehmen sehen wir uns als künftigen Abnehmer von Wasserstoff in Hessen. Merck will bis 2040 weltweit klimaneutral sein. Gleichzeitig steht die Versorgungssicherheit im Vordergrund. Der geplante Aufbau und Betrieb eines Wasserstoffverteilnetzes ab 2028 bestärkt uns darin, an unserem Standort Darmstadt entsprechend unserer Energiestrategie auf grünen Wasserstoff zu setzen. Wir benötigen einen Energiemix aus regenerativen Energien. Dank Eigenerzeugung aus Geothermie sowie Photovoltaik können wir einen Teil selbst beisteuern. ENTEGA ist bereits heute für uns ein wichtiger strategischer Partner, wie unser gemeinsamer Ausbau mit großflächigen PV-Anlagen an den Merck-Standorten in Darmstadt und Gernsheim zeigt.“

Mit Blick auf den laufenden Umbau des Heizkraftwerks West der Mainova AG in Frankfurt spielt Wasserstoff ebenfalls eine Schlüsselrolle. Dazu äußert sich Peter Arnold wie folgt: „Unser neues Vorbildkraftwerk wird wegweisend sein für die Dekarbonisierung der Stadt Frankfurt am Main. Mit der bereits heute auf den Einsatz von Wasserstoff ausgelegten Anlagentechnik werden wir ab 2026 einen hohen Einspareffekt von Treibhausgasen erreichen. Perspektivisch soll unser Klimaschutz-Schwergewicht die Frankfurterinnen und Frankfurter CO2-neutral mit Wärme und Strom versorgen. Davon profitieren wir alle. Wichtig ist, dass die Politik verlässliche Rahmenbedingungen schafft und das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz verlängert und weiterentwickelt.“

Auch die KMW AG plant den Bau eines wasserstofffähigen Gaskraftwerkes auf der Ingelheimer Aue. Es soll die Erneuerbaren Energien ergänzen und Strom liefern, wenn kein Wind weht und auch keine Sonne scheint, um die Versorgungssicherheit für eine CO2-freie Energiezukunft in der Region zu gewährleisten. Das Zukunftskraftwerk wird technisch so gebaut, dass das anfänglich genutzte Erdgas möglichst schnell und vollständig durch Wasserstoff zu ersetzen ist. Die Inbetriebnahme ist entsprechend 2028 geplant. „Als moderner Erzeuger wollen wir 100 Prozent klimaneutrale Energie zur Verfügung stellen und langfristig die Versorgung sowie maximale Nachhaltigkeit sicherstellen. Deshalb planen wir, in Mainz ebenfalls Investitionen in eine wasserstofffähige Energieerzeugung – unser Zukunftskraftwerk“, erklärt Dr. Oliver Malerius abschließend.